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Beatriz González - Retrospective 1965–2017: Zur „Inneneinrichtung“ politischer Bilder

Lange nicht mehr hat man in den Berliner KunstWerken eine so überzeugende, so „sinnliche“ und zugleich intelligente Ausstellung gesehen wie jetzt die engagierte „Retrospektive 1965 - 2017“ von Beatriz González.

Wieder einmal ist es mit Beatriz González eine Teilnehmerin der im letzten Jahr noch arg geschmähten documenta 14, die jetzt für Aufsehen sorgt. Ihre Retrospektive in den Berliner KunstWerken überzeugt vor allem deswegen, weil es den Arbeiten der 1938 geborenen kolumbianischen Künstlerin gelingt, Errungenschaften der eurozentrischen Pop Art für ihre eigenen künstlerischen Zwecke umzufunktionieren. Für Zwecke, die dann mit der Pop Art und seiner oftmals affirmativen Reflexion kapitalistischer Konsumkultur weniger gemein haben als mit einem dezidiert politisch ausgerichtetem, konzeptionellen Agit P(r)op. Pop-Artige Momente wie Wiederholung und Serialität, banal anmutende Motive, Zitat und vor allem simple – nicht simplifizierende! – Reduzierung finden sich in der Kunst von Beatriz González immer wieder. Diese ästhetischen Momente nutzt sie dann meist um das soziale und politische Leben Kolumbiens kritisch zu analysieren.

Ihr vielleicht bekanntestes Bild „Telón de boca para un almuerzo“, 1978, ist typisch für González’ künstlerischer Strategie: Die Künstlerin überträgt hier Édouard Manets legendäres Bild „Le Déjauner sur l'herbe“, 1863, als übergroßes, gleichsam „inflationiertes“ Ölgemälde auf einen Vorhang, gemalt in einer beinahe ausgeblichenen Farbigkeit, das Motiv fast schon schemenhaft reduziert. Das erstmals 1978 auf der Venedig Biennale gezeigte Gemälde transformiert die westliche Bildikone hin zu einem quasi „unterentwickelt“ ästhetisierten Bild, das zudem in Form eines Vorhangs, also eines schnöden Gebrauchsgegenstandes, präsentiert wird. So werden die Differenzen von (kulturellem) Wert und Kontext, die zwischen reichen westlichen Industriestaaten und den Entwicklungsländern der „Dritten Welt“ virulent sind, thematisiert - „Unterentwickelte Bilder für unterentwickelte Länder“, so hat die Künstlerin ihre Ästhetik dann auch einmal selbst prägnant bezeichnet.

Explizit politisch wurde González' Kunst spätestens Anfang der 1980er Jahre. Wieder auf einem Vorhang aufgetragen ist das wandfüllende Gemälde „Decoracíon de Interiores“, 1981. Diesmal ist eine Gesellschaft auf einem Empfang zu sehen, man und frau haben Gläser in der Hand, man singt fröhlich ein Lied. Unter den Gästen der illustren Runde feiert auch der damalige Präsident Kolumbiens Julio César Turbay Ayala, während dessen Herrschaft von 1978 – 1982 das südamerikanische Land von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Guerillas und Militär erschüttert wurde. Angesichts dieser für die Menschen Kolumbiens überaus bedrohlichen Situation zeigt González’ Partybild nicht nur den Zynismus des Präsidenten auf, sondern auch, wie dieser mit Hilfe von glamourösen Selbstinszenierungen in den Medien ablenken wollte von den Problemen „seines“ Landes. „Inneneinrichtung“ so der doppeldeutige Titel dieses Werkes.

Von der psychologischen „Inneneinrichtung“ ihres Heimatlandes erzählt González auch in der Serie „Las Delicias“, 1997, die sich aus großformatigen Bildnisse indigener Menschen zusammensetzt. In Trauer versunken gedenken sie der Toten, die Hände vor den Augen, sich die Ohren zuhaltend – zu groß ist der Schmerz und die Resignation der in so schlichter wie expressiver Eindringlichkeit gemalten Figuren.  

Überragend wie in diesem Oeuvre vermeintliche Gegensätze wie emotionale Sinnlichkeit und kluges Konzept, „autonome“ Ästhetik und engagierte Politik mit scheinbar einfachen Mitteln überwunden werden. Nicht verpassen!

Mehr Texte von Raimar Stange

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Beatriz González - Retrospective 1965–2017
13.10.2018 - 06.01.2019

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