Rayyane Tabet - Bruchstücke / Fragments: Die Kunst-Kunst der Ausgrabung
Ein interessantes Rechercheprojekt: Der syrische Künstler Rayyane Tabet erfuhr vor einigen Jahren, dass sein Urgroßvater Faek Borkhoche 1929 für einige Zeit als Sekretär für Max von Oppenheim gearbeitet hat, um diesen im Auftrag der französischen Regierung in Syrien auszuspionieren. Tabet begann zu recherchieren und fand heraus, dass Oppenheim in Syrien lange Jahre nicht nur als Archäologe, sondern auch für den deutschen Kaiser als Kundschafter tätig war. Seine Aufgabe war u.a. Beduinenstämme zu radikalisieren, damit sie gegen die französischen Kolonialherren putschten. Oppenheim hat in Syrien aber vor allem 1899 die historische Anlage Tell Halaf entdeckt und sie in langwierigen Ausgrabungen freigelegt. Teile der Ausgrabungen wurden nach Berlin transportiert, wo sie heute restauriert und gelagert werden. Rayyane Tabet setzte dann seine hier nur kurz zusammenfassend vorgestellten Rechercheergebnisse Stück für Stück neu zusammen, insofern ist seine Tätigkeit wohl der Archäologie verwandt, um sie dann als großangelegten Installationen in Kunsträumen zeigen zu können, wie jetzt im Kunstverein in Hamburg mit seiner fragwürdigen Ausstellung „Bruchstücke/Fragments“.
Der Kunst wegen: Die Ausstellung beginnt, wie so oft, mit einem einleitenden Text. Dieses mal jedoch - es handelt sich um einen an die Wand geplotteten Vortrag des Künstlers - wird dieser Saaltext explizit, versehen mit dem Titel „Dear Victoria“, 2016 bis heute, als Kunstwerk deklariert. Warum nur? Gegenüber die Vitrine „Objects Belonging To Faek Borkhoche“, 1929 – 1937, u.a. ausgelegt mit einem Koffer des besagten Urgroßvaters, Oppenheims Buch „Der Tell Halaf“ und Fotografien, die des Urgroßvaters Aufenthalt am Ausgrabungsort dokumentieren. Wie es sich für eine Rechercheausstellung gehört, werden natürlich weitere Vitrinen folgen. Im Zentrum der Ausstellung sind dann 1000 Frottagen in Petersburger Hängung präsentiert. Diese „Basalt Shards“, 2017, sind Frottagen von nicht identifizierten Teilen aus der Berliner Sammlung von Oppenheims Ausgrabung, sind „Spuren“, wenn man so will und wie uns prompt der Kunstverein im „Beipackzettel“ nahelegt. Die Frottage als altehrwürdige Kunsttechnik und der ach so diskursiv-poetische Begriff „Spuren“ ändern aber nicht, worum es sich hier tatsächlich handelt: um schwarze Kohleabdrucke, die amorphe Formen aufs weiße Papier produziert haben, Formen, die weder ästhetisch interessant sind noch irgendwelche diskursive Qualitäten besitzen.
Leider geht es weiter so, es folgen ja weitere Vitrinen, gefüllt selbstverständlich mit alten Büchern, verblichen aussehenden Fotos und historischen Karten, sowie weitere auf dem ersten Blick nach Kunst aussehenden Installationen. Da ist etwa die Arbeit „Exquisite Corpse“, 2017, bei der sieben Militärzelte von der Decke hängen, die einem klassischen Beduinenmantel überraschend ähnlich sehen. Sowohl Zelte wie Mantel basieren nämlich auf einem einfachen, später variierten viereckigen Entwurf, was sie dann überaus tauglich macht für die Inszenierung einer fast schon abstrakten Ästhetik.
Was nicht fehlen darf bei so einer Ausstellung ist selbstredend eine popkulturelle Referenz, die Tabet dann umgehend mit seiner zur Schaustellung eines Montblanc-Füllfederhalters liefert. Diesen Füller mit „eingravierten Beduinenmotiven“ (Montblanc) hatte das Unternehmen 2009 als limitierte Edition auf den Markt gebracht, um Oppenheims Verdienste zu würdigen. Brav.
Möchtegern Politik: Noch einmal sei besagter Beipackzettel zitiert, der betont, dass „die inhaltliche Aufarbeitung dieses Projekts … parallel zu den derzeitigen Migrationsbewegungen und Kriegswirren des heutigen Syrien zu lesen“ ist. Wie bitte ist dieses zu verstehen? Ist die Situation tatsächlich vergleichbar? Wenn ja, wird dieses wirklich in „Bruchstücke/Fragments“ thematisiert? Etwa durch die ästhetisierten, von ferne an Franz Erhard Walter erinnernden Militärzelte? Die politischen Implikationen der Arbeit von Oppenheim jedenfalls spielen bei Rayyane Tabet kaum eine Rolle, solch Explizitheit wäre ihm wohl zu „unkünstlerisch“ gewesen.
25.11.2017 - 18.02.2018
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